Können Onlinekurse eine Alternative zur Paartherapie sein?

Machen wir’s kurz: Onlinekurse können beim besten Willen keine Alternative zu einer professionellen Paarberatung, einer Paartherapie oder einem Paarcoaching sein. Jedenfalls keine, die ich guten Gewissens empfehlen würde.

Was sie sein können, ist – vielleicht – eine Ergänzung.

Onlinekurse sind übrigens nicht zu verwechseln mit Online-Paarseminaren.

Wie ich allgemein über Paarseminare denke, können Sie bei Interesse in Weshalb keine Intensivtage und Seminare in der Paartherapie? nachlesen.

Das Konzept von Onlinekursen

Onlinekurse für Paare sind Angebote, die Lektionen zum Selberbearbeiten bieten.

Alle Inhalte sind vorproduziert, in der Regel in Form von Videos plus begleitende Skripten zum Download.

Je nach Anbieter:in finden sich darin unter anderem (hier nur drei Beispiele):

  • Erläuterungen zu häufigen Hintergründen von Beziehungsschwierigkeiten
  • Wahrnehmungsübungen, um Missverständnisse in der Kommunikation schneller zu erkennen
  • Trainingseinheiten für eine verbesserte Kommunikation bzw. Kommunikationsregeln.

Alles gut und schön.

Aber mal ehrlich:

Wenn Sie ein Problem mit dem seitlichen Schneidezahn oben rechts hätten, würden Sie da einen Onlinekurs buchen, der

  • Sie über die häufigsten Gründe für Schwierigkeiten mit Zähnen aufklärt
  • Sie dazu anleitet, wie man Zähne richtig reinigt (nicht nur putzt!)
  • Ihnen erläutert, welche Zahncremes für dieses oder jenes Zahn-Zipperlein besonders geeignet sind usw.?

Oder würden Sie nicht doch zum Telefon greifen und einen Zahnarzttermin vereinbaren?

Entscheiden Sie sich für den Zahnarztermin, werden Sie dies vermutlich aus folgenden Gründen tun:

  • Sie sind sich nicht klar, um welches Problem „in der Tiefe“ es sich handelt oder handeln könnte. Eventuell haben Sie eine Ahnung, aber „nichts Genaues weiß man eben nicht“. Vielleicht ist es nichts Dramatisches, vielleicht aber ist es schon fünf vor zwölf. Wer wollte in diesem Fall eine Behandlung hinauszögern?
  • Auf Grundlage dieser Überlegungen haben Sie die berechtigte Sorge, dass der Onlinekurs Ihr Problem nicht erkennen und beheben kann.
  • Davon abgesehen befürchten Sie, dass selbst wenn das Problem verschwindet, Sie nicht sichergehen können, ob es nur eine vorübergehende Besserung ist. Kommt es zurück, ist womöglich alles schlimmer als zuvor …

Nichts anderes trifft auf Onlinekurse bei Beziehungschwierigkeiten zu!

Und auch noch eine kleine gemeine Anmerkung …

… welche die wahren Hinter-Gründe für solche Formate offenlegt:

Onlinekurse werden von privaten und daher kommerziell orientierten Anbieter:innen nicht aus großer Menschenliebe produziert, um „möglichst vielen Ratsuchenden Wissen zur Verfügung zu stellen“. Oder um es ihnen leicht zu machen, Unterstützung zu bekommen, ohne sich zeitlich und finanziell verbiegen zu müssen.

Der Onlinekurs sei, so auch einige Anbieter:innen, einzig zu dem Zweck geschaffen worden, alle Vorteile einer Paarbegleitung in einem zeitgemäßen Format zu bündeln.

Nett, diese Fürsorglichkeit! Und nur edle, selbstlose Motive, soweit das Auge reicht …

Die Behauptung mit den ausschließlichen Vorteilen erinnert mich an einen Hygieneartikel. Da stand dann einges Tages „Vorteilspackung“ auf dem Karton.

Zu Hause verglich ich die bisherige und die neue Packung, konnte aber keine Veränderung feststellen. Bis auf die Zahl der Artikel. Die war von 62 auf 58 geschrumpft. Da, wo früher 62 stand, war jetzt 58 zu lesen.

Die Werbeaussage „Vorteilspackung“ war nicht gelogen. Sie war eindeutig zum Vorteil des Herstellers.

Lassen Sie sich nicht verblümeln! Hinter dem Konzept von Onlinekursen steckt eine knallharte Aufwand-Ertrag-Kalkulation!

Mit anderen Worten:

In zahlreichen Branchen und Bereichen, so auch in der Paarbegleitung, sind sie eine der wenigen Möglichkeiten, um zu „skalieren“.

Skalieren bedeutet:

Mehr Einnahmen zu erwirtschaften und sich bzw. das Unternehmen ins kontinuierliche Wachstum zu führen.

Am besten, ohne großen zeitlichen, finanziellen und sonstigen Mehraufwand betreiben zu müssen. Oder, im Gegenteil, den Aufwand mittel- und langfristig sogar erheblich reduzieren zu können und sich trotzdem über immer mehr Zahlungseingänge auf dem Konto zu freuen.

Das ist völlig in Ordnung, wenn es sich um Fachthemen handelt, bei denen man nicht auf einen beständigen Austausch mit den Dozent:innen angewiesen ist. Ich liebe Online-Kurse!

Stimmen Konzept, Qualität und Preis, ist das eine tolle Sache. Und dann habe ich auch nicht das geringste Problem, wenn sich jemand dumm und dusselig daran verdient.

Auch in meinem Metier ist die Vorstellung eines Skalierens verführerisch:

Arbeite ich von Angesicht zu Angesicht mit einem Paar, komme ich, wenn „Ausgebucht“ in meinem Kalender steht, naturgemäß an eine Grenze.

Selbst wenn ich mir, zum Nachteil meiner Klient:innen, die Vor- und Nachbereitung der Termine schenke (aber trotzdem ins Honorar einpreise) und mir dadurch Zeit freischaufele, ist irgendwann Schluss. Mehr Sitzungen in Paarberatung, Paarcoaching oder Paartherapie bringe ich nicht unter.

Bei meiner Preisgestaltung sind mir ebenfalls Grenzen gesetzt, ich kann meine Honorare nicht ins Astronomische steigen lassen. Zumindest nicht, wenn ich kein Promi bin, der oder die es geschafft hat, eine – ob nun fachlich berechtigt oder nicht – überregionale Bekanntheit zu erreichen.

Ein terminliches und honorarbedingtes Limit aber nagelt mich auf einem gewissen finanziellen Niveau fest. Über dieses Limit werde ich als Otto-Normal-Paarbegleiter:in, die nicht am Fließband gut verkäufliche Bücher schreibt, kaum hinauskommen.

Die gegensätzliche Variante:

Ich habe zu wenig Klient:innen, und alle meine bisherigen Aktionen, an diesem misslichen Umstand etwas zu ändern, sind ins ins Leere gelaufen.

Die Lösung, damit die Kasse richtig klingelt

Ich entwickle einen Onlinekurs!

Wenn dieser etwas hermachen und qualitativ nicht unterste Schublade sein soll, werde ich zunächst eine Schweinearbeit damit haben. Ist nicht zu vermeiden. Und ich muss erst einmal investieren, etwa in eine Agentur, die mir hilft, das Projekt technisch auf die Beine zu stellen.

Aber nach diesen Geburtswehen dreht sich die Zeit-und-Aufwand-Spirale allmählich um und ich genieße die Früchte meiner Bemühungen.

So könnte ich zum Beispiel einen Kurs über eineinhalb Monate – 2 Online-Lektionen pro Woche à 75 Minuten – für 399 € inklusive Mehrwertsteuer bewerben. Und ich könnte behaupten, dass diese Investition um ein Mehrfaches günstiger ist als eine Paartherapie in Präsenz oder via Bildschirm.

Stimmt ja auch. Ein Onlinekurs ist, von Schnellberatungen über eine einzige Sitzung abgesehen (ja, die gibt es, habe ich immer wieder erlebt), tatsächlich günstiger.

Aber ist diese Investition auch „beziehungstechnisch“ gewinnbringend? Diese Frage ist in der Werbung außen vor.

Als zugkräftige Argumente für meinen Onlinekurs statt einer Paarbegleitung würde ich formulieren:

  • Es geht ziemlich fix (6 Wochen).
  • Es kostet verhältnismäßig wenig – eine Paarberatung, ein Paarcoaching oder eine Paartherapie können problemlos an der 1000 €-Marke (und mehr) kratzen.
  • Man kann zu Hause bleiben, gemütlich auf dem Sofa sitzen, spart Zeit und Fahrtweg und kann die Lektionen passend in den Alltag integrieren.

Klappern, Trommeln, Tschingderrassabum

Jetzt muss ich nur noch zusehen, dass mein Angebot auch wahrgenommen wird. Dazu werde ich so viele Wege kostenfreier und günstiger Werbung nutzen, wie es nur irgendwie geht.

Möglicherweise gelingt es mir, in Zeitungen und Zeitschriften Artikel zu spannenden Paarthemen unterzubringen. Auf diese Weise positioniere ich mich als Expertin.

Selbstverständlich werde ich in diesen Artikeln „ganz nebenbei“ erwähnen, was ich anzubieten habe. Das macht es mir leicht, Kundschaft zu gewinnen. Onlinekurse haben Konjunktur!

Mit das Beste:

Schon bei Veröffentlichung meines ersten Artikels werde ich selbstbewusst auf meine Website schreiben:

Bekannt aus …

Ein Bekannt aus signalisiert Kompetenz, Bedeutung und Nachfrage. Das ist der Punkt und darauf kommt es an.

Bin ich besonders smart, schalte ich noch hier und da eine kleine Anzeige. Und kann auch in diesem Fall wieder verkünden:

Bekannt aus …

Kaum jemand wird seine Nase tiefer ins Thema stecken und nachforschen. Kein Gedanke, dass die Geschichte über Gebühr aufgeblasen sein könnte. So dreist kann doch niemand sein, oder?

Stellen wir eine simple Rechnung an

Wenn nur 10 Paare pro Monat meinen Onlinekurs kaufen, habe ich 3990 € inklusive Mehrwertsteuer verdient. Bis auf den ganzen Bezahlabwicklungskram (und selbst den kann ich auslagern) usw. habe ich mit diesem Angebot wenig Arbeit.

Und statt mich Tag für Tag voll einzubringen, muss ich, wenn ich das nicht will, nie wieder mit zwei Ratsuchenden auseinanderklamüsern, was ihnen solche Probleme macht. Oder gar rudern wie wild, um sie durch die Stromschnellen ihrer Partnerschaftskrise zu manövrieren.

Wobei es genau das ist, was eine unmittelbare menschliche Unterstützung bei Beziehungsschwierigkeiten so wertvoll macht:

Da ist jemand wirklich da, da geht jemand mit, da wirft jemand sein ganzes Können und sämtliche hart erarbeitete Erfahrung in den Ring, damit es besser wird und zwei Menschen oder alle Mitglieder einer Familie wieder miteinander lachen und glücklich sein können.

Ein Onlinekurs kann hiervon nur ein müder Abklatsch sein. Aber er ist um ein Vielfaches kräfteschonender und rentabler!

Starte ich einen Onlinekurs, ist – klar – erst einmal Bescheidenheit angesagt:

Ich fange klein an. Mit den oben erwähnten 10 Buchungen monatlich. Tendenz steigend, weil ich mir von jedem Paar, das den Anschein von Zufriedenheit erweckt, eine positive Rezension erbitte.

Dazu halte ich, sofern es mir gestattet wird, Kontakt, peile regelmäßig die Lage, und wenn ich den Eindruck habe, dass die beiden ganz gut drauf sind, komme ich mit meiner Bitte um die Ecke. Sie werden sie mir vermutlich nicht abschlagen.

Mein Ziel ist es natürlich, dass es nicht bei 10 Buchungen monatlich bleibt. Anstreben werde ich wenigstens 40 Buchungen. Da ich an keinen Ort gebunden bin und somit bundesweit werbe, ist das nicht utopisch.

Und freilich:

Nach einiger Zeit werde ich meine Preise erhöhen. Zunächst um 100, dann um 200 Euro.

Würde ich vis-à-vis mit Paaren direkt in meiner Praxis arbeiten (oder wie viele Kolleg:innen auch online), käme ich selbst bei voller Auslastung und mit entsprechend zeitlicher Belastung niemals an diese über Onlinekurse erwirtschafteten Beträge heran.

Was ein echter Knaller ist:

Zu diesem ersten Onlinekurs lassen sich weitere fabrizieren, so etwa zu „Spezialthemen“. Wer sich auf seinem Gebiet auskennt, kann hier richtig zulangen!

Aber will ich das?

Nein. Will ich nicht.

Weil es kein geeignetes Format ist, um Paaren mit Beziehungsschwierigkeiten das zu geben, was sie zuvorderst brauchen:

Ein ausreichend ausführliches Abklären, was Sache ist. Das kann kein Onlinekurs.

Und wie ein Buch kann er nicht mit dem Paar sprechen, nichts abklopfen, nicht ein- und nachhaken, nicht vor- und zurückdenken.

Noch nicht überzeugt?

Bitte überlegen Sie:

Würden Sie bei Streitigkeiten mit Ihrem unmittelbaren Grundstücks-Nachbarn oder mit Ihrem Arbeitgeber einen Onlinekurs absolvieren?

Würden Sie sich einem Onlinekurs anvertrauen, wenn Sie als Unternehmerin oder Unternehmer finanzielle Probleme hätten und nach genau auf Ihr Unternehmen zugeschnittenen Möglichkeiten suchen, eine Insolvenz abzuwenden?

Und wenn Ihnen bei Ihren Heizkosten schwummrig und Ihnen daher einsichtig würde, dass Ihr Haus aus den 60er Jahren gedämmt werden müsste und verschiedene zusätzliche energiesparende Maßnahmen ergriffen werden sollten, Sie aber nicht vom Fach sind:

Würden Sie einen Onlinekurs buchen?

Die Gründe, die Sie vermutlich anführen, warum Sie nicht auf einen Onlinekurs zurückgreifen würden, sind vom Prinzip her dieselben, die gegen einen Onlinekurs bei Paarproblemen sprechen.

Mein abschließendes Statement

Nehmen wir an, mein Mann und ich hätten Schwierigkeiten, und ich wäre mit meinem Paartherapie-Latein am Ende (vielleicht, weil ich selbst zu nah dran bin).

Wie oben angedeutet, würde ich einen Onlinekurs, wenn überhaupt, als Ergänzung betrachten. Aber nie im Leben als alleinige Maßnahme, die Klaus und mir helfen soll, aus unserem Beziehungsschlamassel herauszukommen.

Gut herauszukommen – ohne die dicksten „Brocken“ nicht bearbeitet zu haben, weil das mit einem vorgefertigten Kurs, der nicht in tiefere psychische Gefilde abtauchen kann, sondern an der Oberfläche bleiben muss, schlicht nicht geht.

Oder auf halber Strecke steckenzubleiben und dann nicht weiterzuwissen. Weil etwas unterschwellig bei mir oder bei ihm oder bei uns beiden angetriggert wurde, mit dem wir aber ohne professionelle Begleitung und einem Blick von außen nichts anfangen können. Wir merken nur: Etwas fühlt sich besch…den an!

Von dem unnötigen Umweg durch den Kurs, weswegen wir mit einiger Wahrscheinlichkeit früher oder später doch in der Paartherapie-Praxis einer Kollegin oder eines Kollegen landen würden, fange ich erst gar nicht an …

Wenn wir denn dort landen würden und nicht schon getrennte Wege gehen. Was – ebenso mit einiger Wahrscheinlichkeit – hätte verhindert werden können.

Und wie bei Zahnproblemen, die nicht fachgerecht behandelt wurden, klafft jetzt eine Lücke.

Nicht zwischen Zahn 11 und Zahn 13, dafür in unserem Leben!

Wenn Sie also mein Nein zu Onlinekursen für eine grundlegende und dauerhafte Verbesserung oder gar für die Rettung einer Beziehung in zwei Worten lesen wollen (solche Fälle wird es sicher geben, aber sie dürften die Ausnahmen sein):

Lieber nicht!